Cover
Titel
Zuflucht in der Karibik. Die jüdische Flüchtlingssiedlung in der Dominikanischen Republik 1940–1945


Autor(en)
Kaplan, Marion
Erschienen
Göttingen 2010: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
283 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Martina Sochin D’Elia

«Im Jahr 1940 traf eine kleine Gruppe gehetzter jüdischer Flüchtlinge in Sosúa ein, einem […] Ort an der Nordküste der Dominikanischen Republik. Sie waren auf der Flucht vor der immer unerbittlicher und gewalttätiger werdenden Verfolgung, die das NS-Regime gegen sie entfesselt hatte, […]. In dem verzweifelten Bemühen, der fanatischen Hetze gegen die Juden zu entrinnen, ergriffen sie begierig das Angebot der Dominikanischen Republik, sie als Landwirte aufzunehmen.» (7) Mit diesen Worten leitet Marion Kaplan, Professorin für Geschichte an der City University of New York und selbst Nachfahrin jüdischer Emigranten, ihre Studie zur jüdischen Flüchtlingssiedlung Sosúa ein, welche während der Zeit des Zweiten Weltkrieges in der Dominikanischen Republik existiert hatte.

Sosúa ist die Geschichte einer ländlichen, jüdischen Flüchtlingsansiedlung in der Dominikanischen Republik während des Zweiten Weltkrieges, welche Kaplan in insgesamt sieben Kapiteln aufbereitet hat. Die Autorin geht in ihrem Buch in chronologischer Reihenfolge nicht nur den Gründen für die Siedlung nach, sondern beschreibt auch deren im Hintergrund wirkende Akteure akribisch und lässt auch die weniger geglückten Momente der Siedlungspolitik nicht aus.

Die Geschichte der jüdischen Flüchtlingssiedlung in der Karibik ist weit mehr als eine bloss detailgetreu recherchierte Lokalgeschichte. Sie zeigt vielmehr beispielhaft den lokalen, nationalen als auch internationalen (Flucht-)Kontext auf, auf den jüdische Flüchtlinge im Zeitraum des Zweiten Weltkrieges angewiesen waren und in den unterschiedlichste Akteure – aus welchen Interessenslagen auch immer – eingebunden waren.

Die Ansiedlung von jüdischen Flüchtlingen in der Dominikanischen Republik geht zurück auf die Konferenz von Evian, auf der im Sommer 1938 unter amerikanischem Vorsitz nach Lösungen für die europäische Flüchtlingsproblematik gesucht wurde. Die Förderung der Ansiedlung politischer Flüchtlinge in anderen Ländern war dabei einer der Haupttraktandenpunkte. Das Vorhaben scheiterte am Widerstand der insgesamt 32 Teilnehmerstaaten, die Einwanderungsquote zu erhöhen. Einzig die Dominikanische Republik, erklärte sich bereit, Land für die Ansiedlung von bis zu 100‘000 jüdischen Flüchtlingen bereitzustellen. Dies allerdings nur, sofern diese gewillt seien, «das Land zu kultivieren» (22). Neben der Möglichkeit, einen Teil der Insel auf diese Art wieder zu bevölkern, gibt Kaplan als Gründe für die humanitäre Geste der Dominikanischen Diktatur die Bestrebungen Trujillos an, gleichzeitig die Beziehungen zu den USA und das internationale Ansehen der Dominikanischen Republik zu verbessern. Nicht unvermerkt bleiben darf dabei auch die geradezu ironische Tatsache, dass in Europa rassisch verfolgte Flüchtlinge im karibischen Inselstaat im Sinne des blanquismo zur «Aufhellung» und damit «Verbesserung» der einheimischen Bevölkerung beitragen sollten.

Organisatorischer Drahtzieher hinter der Ansiedlungspolitik war das American Jewish Joint Distribution Committee (Joint), das Ende 1914 als amerikanisch-jüdische Hilfs- und Wiederaufbauorganisation gegründet worden war. In den Augen des Joint bot das «Projekt Sosúa» gleich mehrere willkommene Perspektiven: Neben dem entscheidendsten Faktor, jüdischen Flüchtlingen eine sichere Zuflucht zu bieten, konnten in der Dominikanischen Republik auch das Ansinnen, Juden zu Bauern und Mitgliedern einer kollektiven Landwirtschaft zu machen – wie zuvor auf der Krim-Halbinsel schon geschehen, verwirklicht werden. Als Unterorganisation des Joint und in der Funktion als Koordinationsund Überwachungsstelle des Projekts wirkte die Dominican Republic Settlement Association (DORSA) vor Ort in Sosúa.

Kaplan vermag es, in den sorgfältig ausgewählten Quellen nicht nur die organisatorischen Strukturen der Siedlung detailgetreu zu beschreiben, sondern dabei vor allem auch ein differenziertes Bild des Alltags in Sosúa zu zeichnen. Ein Alltag, in dem zu einem grossen Teil auch Probleme überwogen, denen Kaplan deshalb auch ein ganzes Kapitel («Probleme im Paradies») widmet. Die jüdischen Flüchtlinge waren mit der ungewohnten und anstrengenden Landarbeit häufig überfordert, ebenso standen sie unter dem strengen Regime der DORSA, die beispielsweise den Kontakt zwischen Siedlern und Dominikanern nicht gerne sah. Sowohl auf Seiten der DORSA als auch auf Seiten der jüdischen Siedler machten sich schon bald Enttäuschungen breit. Dies hatte zum einen mit den schwierigen Umständen zu tun: Die USA, die anfänglich noch bereitwillig die Transitvisa für die Reise in die Dominikanische Republik erteilt hatte, wurde diesbezüglich immer restriktiver. Gleichzeitig wurden nicht zuletzt mit dem Eintritt der USA in den Krieg die Fluchtwege in die Karibik zunehmend unsicherer oder gar unmöglich. Anstatt der in Aussicht gestellten 100‘000 Personen lebten in Sosúa zwischen Mai 1940 und September 1947 insgesamt 729 jüdische Flüchtlinge.

Dies liess nicht nur die Drahtzieher des Projekts an dessen Effektivität zweifeln, auch die Sosúaner merkten, dass ihnen das Projekt nur begrenzte Zukunftsmöglichkeiten bot. Die Abwanderung in die USA oder in andere Teile der Dominikanischen Republik war die Folge davon. Nicht zuletzt führte das Ende der finanziellen und administrativen Unterstützung durch die DORSA nach dem Kriegsende zum langsamen Ende des Siedlungsprojekts.

Kaplan zeichnet die institutionelle Seite des Siedlungsprojekts akribisch nach, ohne dabei aber den Akteuren zu wenig Gewicht zu geben. In einer Vielzahl von Zitaten lässt sie die Betroffenen selbst zu Wort kommen, was den Lesefluss keinesfalls stört. Auch die gut ausgewählten Abbildungen geben einen aufschlussreichen Einblick in das Alltagsleben in Sosúa und lassen dadurch die Akteure selbst in den Vordergrund treten. Manchmal möchte man sich ob der teils doch sehr plakativen und gleichzeitig inhaltsleeren Formulierungen etwas wundern, die dem fundierten Werk nicht durchgehend, aber zumindest in Teilen nicht gerecht wird.

Zitierweise:
Martina Sochin D’Elia: Rezension zu: Marion Kaplan, Zuflucht in der Karibik. Die jüdische Flüchtlingssiedlung in der Dominikanischen Republik 1940–1945, aus dem Englischen von Georgia Hanenberg, Göttingen, Wallstein Verlag, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 742-743.

Zitierweise:
Pierre Caspard: Rezension zu: Arnaud Besson, Le Moyen Age mythique des Neuchâtelois. Réécrire l’histoire pour devenir Suisse : sur les traces d’un faussaire du XVIIIe siècle, Préface de Jean-Pierre Jelmini, Neuchâtel, Alphil, Presses universitaires suisses, 2014. Première publication dans: Revue historique neuchâteloise, Vol. 3, 2014, pages 187-188.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit